Das Pissoir am Holzplatz, einst ein Schwulen-Treffpunkt, wurde 2020 in ein Kunstwerk verwandelt. Mit Portraits von prominenten ehemaligen Bewohnern der Isarvorstadt wie Freddie Mercury und Rainer Werner Fassbinder, würdigt das Pissoir heute die LGBTQ+-Geschichte Münchens und erinnert auch an die Zeiten der Verfolgung und heimlichen Begegnungen.
Klappenkultur
Das liberale bayerische Strafgesetzbuch sah zwischen 1813 und 1871 in Sex unter Männern zunächst keinerlei Recht gebrochen. Freilich war trotz dessen und auch mit einem augenscheinlich schwulen Monarchen in der Residenz keine gesellschaftliche Akzeptanz erreicht. Und dennoch konnten sich schwule Männer in München relativ ungestört bewegen.
Das änderte sich mit Gründung des Kaiserreiches mit der sich das rigide preußische Strafgesetzbuch überall durchsetzte - und damit auch der berüchtigte Paragraph 175. Dieser stellte "beischlafähnliche Handlungen" zwischen Männern unter Strafe. Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg verschärfte sich die Lage: Die Zahl der Festnahmen stieg dramatisch, schwulenfreundliche Lokale wurden auf Druck der Sittenpolizei zwangsgeschlossen, Magazine mit entsprechenden Kontaktanzeigen mussten eingestellt werden. Mangels Optionen führte der Weg vieler Homosexueller daher in die anonyme Subkultur mit szenetypisch als "Klappen" bezeichneten Treffpunkten.
Die Nazis änderten den Paragraphen 175 so, dass ab 1935 Richter nach "gesundem Volksempfinden" entscheiden konnten, ab wann homosexuelle Handlungen strafbar sind. Damit waren nun im Prinzip alle - und nicht nur beischlafähnliche - homosexuelle Handlungen strafbar und der Willkür Tür und Tor geöffnet. Unfassbar, dass der Paragraph so den Krieg überlebte und bis 1969 auch in der BRD Anwendung fand. 1959 saßen auf dieser Rechtsgrundlage fast genauso viele Männer im Gefängnis wie 1938.
Die schwule Szene war also auch weiterhin auf Klappen und "Pissorte" angewiesen. Ein solcher Ort wanderte um 1950 vom Karlsplatz an den Holzplatz, wo das historische Pissoir noch heute steht. Nun allerdings nicht mehr als Treffpunkt für anonymen Sex, sondern als Gedenkort für drei große Gast-Isarvorstädter.
Das Pissoir am Holzplatz
Das Klohäusl am Holzplatz stammt aus dem Jahr 1900. Ein gusseisernes Oktogon unter Denkmalschutz. Seit den 1990ern ist es außer Betrieb und bis auf nur eine Ausnahme für die Ausstellung "Klappe auf" zum Christopher Street Day im Jahr 1998 verschlossen. Dann folgten über zwei Jahrzehnte Leerstand, das alte Klohäuschen schien an seinem angestammten Platz im Herzen des Glockenbachviertels zu verrotten.
Das rief die Initiative "The Pissoir" von Autor Martin Arz und München-72-Wirt Thomas Zufall auf den Plan, mit dem Ziel das vernachlässigte Schmuckstück für das Viertel aufzuwerten. Schnell fand die Initiative Anklang beim zuständigen Bezirksausschuss und dem Kulturreferat der Landeshauptstadt München. Für die künstlerische Umsetzung konnte man die international renommierte Streetart-Gruppe "Graphism" begeistern. Das Konzept: Die drei prominenten, ehemaligen Bewohner der Isarvorstadt Freddie Mercury, Rainer Werner Fassbinder und Albert Einstein werden mit Portraits auf den Aussenwänden des Pissoirs inszeniert.
Albert Einstein
Albert Einstein kam im Alter von einem Jahr mit seiner Familie nach München und wohnte in der Adlzreiterstraße. Er besuchte ab 1888 das Luitpoldgymnasium in der Müllerstraße, verliess die Schule allerdings ohne Abschluss und folgte seiner Familie im Alter von nur 15 Jahren nach Italien. Daher schmückt das Pissoir am Holzplatz ein ungewohnt junges Portrait des späteren Physikers.
Gaststätte Arndthof und die Nazi-Razzia
Als die Nazis 1933 an die Macht kamen befand sich Am Glockenbach 12 mit dem Arndthof eines der beiden letzten Schwulenlokale der Stadt. Das andere war das Schwarzfischer in der Dultstraße. Beide Lokale wurden zu Zielen der ersten großen Antihomosexuellen-Razzia der Nationalsozialisten im Herbst 1934. Viele Gäste wurden verhaftet, einige ins KZ-Dachau deportiert. Auch daran erinnert das Artwork, mit abstrahierter Sträflingskleidung hinter dem Fassbinder-Portrait und rosa Winkeln.
Rainer Werner Fassbinder
Rainer Werner Fassbinder hatte in der Müllerstraße 12 bis 1968 sein Antitheater und verliebte sich einige Jahre später in den Deutsche-Eiche-Aushilfskellner Armin Meier. Für ihn zog er sogar ins Haus gegenüber des berühmten Schwulenlokals, in der Reichenbachstraße 12. In den Folgejahren galt die Eiche als sein Wohnzimmer.
Freddie Mercury
Freddie Mercury war der wohl schillerndste Gast der Isarvorstadt. Ab 1979 lebte er temporär in München, unter Anderem in der Pestalozzistraße - direkt am Holzplatz. In dieser Zeit war er gern gesehener Gast der Münchener Schwulenszene. Im "Old Mrs. Henderson" in der Rumfordstraße feierte er seinen 39. Geburtstag und drehte zu diesem Anlass das legendäre Video zu "Living On My Own".
Alle Portraits wurden unter Auflage des Denkmalschutzes mit einer beschränkten Farbpalette gestaltet. Abstufungen von Grün und Beige waren die Vorgabe, um sich an die umliegende Umgebung und das bestehende Klohäusl anzulehnen. Nur für die Portraits wählten die Künstler kontrastreichere Rottöne - immerhin sollten die Personen auch herausstechen. Zudem durfte nicht direkt auf die Substanz des Pissoirs gemalt werden, wetterbeständige Metallplatten die dann an den Außenwänden aufgebracht wurden dienen als Trägermaterial.
Betreten kann man das Klohäusl leider nicht. Es bleibt auch nach der erfolgreichen Initiative zur Umgestaltung verschlossen. Dennoch wertet es den Holzplatz nun auf und macht München um einen queeren Gedenkort und ein spannendes Fotomotiv reicher.