Verlässt man den U-Bahnhof am Sendlinger-Tor-Platz und spaziert in Richtung des namensgebenden Bauwerks, hat man es bald übersehen: das AIDS-Memorial. Deutschlandweit das Erste und immer noch unter wenigen Anderen, ist es trotzdem, sagen wir, unaufdringlich. Auch: unsentimental, trotz des Themas. In den Straßenalltag integriert ist es nicht nur leicht zu übersehen, sondern setzt auch Wissen voraus, will man die Botschaft entschlüsseln.
Der Stadtrat beschließt ein Denkmal für AIDS
Doch fangen wir von vorne an: Im Sommer 2000 beschließt der Münchner Stadtrat ein Denkmal aufzustellen, zum Gedenken an die Menschen die seit 1981 an der Immunschwächekrankheit AIDS verstorben sind. Es soll auch Solidarität bezeugen mit deren Freunden, Familien und den mit dem HIV-Virus Infizierten. Als Ort wählt man den Sendlinger-Tor-Platz, als stark frequentierten, wichtigen Knotenpunkt in München.Internationaler Wettbewerb: Die U-Bahnsäule setzt sich durch
Im internationalen Wettbewerb setzt sich unter 14 eingeladenen Künstler*innen der Entwurf von Wolfgang Tillmans durch. Er wollte etwas schaffen, dass die Möglichkeit zum Verweilen zulässt und beobachtete aufmerksam die Umgebung. Die U-Bahn, mit den lebendigen, Türkis-Blauen Säulen wurde für die Olympischen Spiele 1972 gebaut. Dieses Motiv holt Tillmans aus dem Untergrund: Eine unter Vielen steht nun auf der Oberfläche. Die Alltäglichkeit der Form als Verweis auf die alltägliche Präsenz von AIDS im Leben Vieler. Hunderte Säulen im Untergrund. Oben eine als Spitze des Eisbergs.Funktioniert das Memorial heute noch?
Am 17. Juli 2002 wird das Denkmal enthüllt - rund 20 Jahre nach dem Tod des ersten an der Immunschwäche erkrankten Menschen. Seit 2002 hat sich die HIV-Therapie enorm weiterentwickelt, ebenso die Prävention. HIV-Tests sind alltäglich geworden, Nebenwirkungen einer Therapie haben sich sehr reduziert. Es gibt die PrEP um sich vor einer Infektion zu schützen und wir wissen, infizierte Menschen geben das Virus unter wirksamer Therapie nicht mehr weiter.
Auch der Sendlinger-Tor-Platz ist heute umgestaltet - inklusive der Säulen im Zwischengeschoss des U-Bahnhofes, die mittlerweile in einem modernen Design daherkommen und ihre Siebziger-Keramik-Kacheln abgeschüttelt haben. Nur noch eine bleibt erhalten, um den Bezug zum Denkmal nicht völlig zu verlieren.
München und AIDS heute
Wir müssen das Denkmal heute also abstrakter begreifen, als noch 2002. Vielleicht nicht im selben Design, aber immer noch spiegelt sich das AIDS-Memorial auf Hunderte von Säulen im ganzen U-Bahnnetz und weist damit weit über seinen Ort hinaus. Die Säule ist zudem die älteste und am weitesten verbreitete Form des Denkmals. Sie ist Abstraktion der menschlichen Figur und eine symbolische Verbindung zwischen Himmel und Erde. Und damit gedenken wir den mindestens 1.600 AIDS-Toten, die die Stadt München seit Bekanntwerden der Epidemie verzeichnet. Derzeit leben hier 6.-8.000 Menschen mit HIV/AIDS, fast zwei Drittel davon sind schwul.Die 25. internationale AIDS Conference in München
Im Juli 2024 - 22 Jahre nach der Enthüllung des AIDS-Memorials - fand in München die 25. Internationale AIDS-Konferenz statt. Eine Woche lang haben sich rund 10.000 Wissenschaftler*innen, Mediziner*innen und HIV-Fachleute aus 175 Ländern ausgetauscht. Nach 31 Jahren fand die weltweit größte Aids-Konferenz damit wieder in Deutschland statt. Unter den internationalen Sprechenden der Konferenz waren Nobelpreisträgerin Françoise Barré-Sinoussi, First Lady Jill Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz.Mehr Infos